Überwachungsstaat 2.0



HINWEIS:
Aufgrund des großen Interesses an meinem Research Paper zu Projekt INDECT habe ich nun folgende kurze Einführung zu diesem Thema verfasst. Das vollständige Research Paper findet man weiterhin hier:




Überwachungsstaat 2.0

Eine kurze Einführung zu Projekt INDECT 

und der Sicherheitsindustrie im allgemeinen
 

von Domingo Conte


Das Geschäft mit Überwachungstechnologien und Data-mining ist in den letzten 10 Jahren rasant angewachsen und wächst immer noch konstant weiter. Nicht nur in den USA sondern auch in der EU wird intensiv an neuen Technologien und Methoden zur effektiveren Überwachung der Bürger geforscht. Allein die bereits heute vorhandene Datenflut die sich aus den über 4 Millionen Überwachungskameras in London ergibt ist längst unüberschaubar geworden, doch der Datensammel- und Überwachungswahn der Regierungen lässt nicht nach. Dies bringt vor allem logistische Probleme mit sich, denn alle möglichen Daten über alle möglichen Menschen zu haben ist eine Sache, die Auswertung all dieser Daten eine völlig andere. Aber auch an diesen Problemen wird intensiv geforscht.

So finanziert die Europäischen Union im Rahmen ihres Sicherheitsforschungsprogrammes seit 2009 ein Forschungsprojekt, welches sich speziell damit beschäftigt, dieser kontinuierlich anwachsenden Datenflut Herr zu werden. Das Projekt heißt INDECT, was für „Intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Entdeckung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung“ steht. Dieses Forschungsprojekt läuft über einen Zeitraum von 5 Jahren und soll bis Ende 2013 abgeschlossen sein. Beteiligt sind mehrere Unternehmen aus der Sicherheits- und Multimedia-Industrie, Polizeibehörden und verschiedene europäische Universitäten. Erste Testläufe des Projektes sind 2012 zur Fußball-EM 2012 in Polen geplant. 

Ziel des Projektes ist, eine Sicherheitsarchitektur zu entwerfen, die sämtliche bestehenden Überwachungs-technologien logisch miteinander verknüpft, in Echtzeit auswertet und verwaltet - und das alles soll vollautomatisch durch intelligente Computersysteme erfolgen. Die dazu verwendeten Datenquellen sind u.a. Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Telekommunikation, Gesichtserkennung, Websites, Diskussionsforen, Usenet-Gruppen, Datenserver, P2P-Netzwerke sowie individuelle Computersysteme und alle vorhandenen Datenbanken wie Namen, Adressen, biometrische Daten, Interneteinträge, polizeiliche, geheimdienstliche, militärische, forensische und zivile Datenbanken, Daten von luft- und seegestützte Plattformen und Satelliten usw. Und als wären das noch nicht ausreichend Quellen zur Überwachung, wird daneben auch noch in dutzenden anderen Projekten an verschiedensten neuen Überwachungstechnologien geforscht: Angefangen von autonomen, mit Video und Audiosystemen ausgestatteten Drohnen, bis hin zu Technologien zur frühzeitigen Identifizierung von illegalen Substanzen wie Sprengstoffen oder Drogen. Schlussendlich sollen alle nur verfügbaren Datenbanken durch INDECT miteinander intelligent verknüpft werden, um diese dann in Echtzeit vollautomatisch nach Gefahrensituationen bzw. Sicherheitsrisiken durchsuchen und auswerten zu können. Anfangen wird dies mit Situationen wie etwa: Mann stiehlt Frau auf offener Straße die Handtasche und wird dabei von Überwachungskameras gefilmt – das INDECT System erkennt das und und meldet es der zuständigen Polizeiabteilung. Doch damit noch nicht genug. Mit INDECT will man noch ein ganzes Stück weiter gehen:

Ein weiteres Ziel von INDECT besteht etwa darin, auffälliges bzw. abnormes Verhalten automatisch zu erkennen, mit dem schlussendlichen Ziel, Gefahrensituationen und kriminelle Handlungen frühzeitig - also noch bevor überhaupt etwas passiert ist - zu identifizieren und gegebenenfalls an die zuständigen Sicherheitsbeamten zu melden. So soll sich dann beispielsweise die Identität einer Person, die sich etwa durch extremistische Postings in einem Forum verdächtig macht, mit Hilfe von Verbindungsdaten ermitteln lassen. Ist der Verdächtige identifiziert, könnte er dann von Überwachungskameras bzw. von Drohnen weiter observiert werden. Und all das im Grunde automatisch, ohne menschliches Zutun. Dies ist aber nur ein weiteres von vielen möglichen Szenarien, wie INDECT eingesetzt werden könnte.

Die Betreiber des Projektes, allen voran die "Polnische Plattform für Heimatschutz", betonen, INDECT sei ein rein wissenschaftliches Projekt und Ziel sei nichts weiter als die Produktion funktionsfähiger Prototypen. Dies mag auch für das gegenwärtige Forschungsprojekt zutreffend sein. Allerdings häufen sich die Indizien dafür, dass man sich bereits jetzt auch damit beschäftigt, wie man die Endresultate schlussendlich kommerzialisieren kann. Dies verwundert nicht sehr, in Anbetracht der hohen Kosten für Projekt INDECT: Offiziell beläuft sich das Budget für INDECT auf knapp €15 Millionen. 10 Millionen davon werden von der EU, also aus Steuergeldern, finanziert, der Rest von den verschiedenen Unternehmen und Organisation die in das Projekt involviert sind.

Manche mögen einwenden, dass das Budget des Projektes doch gar nicht so hoch wäre, doch darf man dabei einerseits nicht außer acht lassen, dass INDECT nur eines von vielen Projekten im europäischen Sicherheitsforschungsprogramm ist, und viele der für INDECT benötigten bzw. der dort einsetzbaren Technologien werden im Rahmen dieser weiteren Projekte entwickelt. (Allein in den Bereichen "Risiko-Analyse und Risiko-Vorausschätzung", "Biometrie und Identifikation" und "Erkennung und Überwachung" finanziert die EU Projekte mit über €200 Millionen.) Andererseits sollte man auch nicht vergessen, dass es bei INDECT selbst ausschließlich um die Entwicklung einer rein software-basierenden Technologie zur Vernetzung aller Kontroll-, Überwachungs- und Auskunftssysteme geht. Andere für das Projekt benötigte Technologien sind auch schon bereits erhältlich: So ist man bei INDECT beispielsweise offenbar an einer Zusammenarbeit mit den Betreibern eines der größten Supercomputer der EU interessiert - dem GALERA System an der Technischen Universität Gdansk in Polen.[1]

Des weiteren ist die wirkliche Höhe der Finanzierung von INDECT auch gar nicht so völlig klar. Erst kürzlich wurde etwa bekannt, dass im Rahmen von Projekt INDECT an mindestens noch einem weiteren, separaten Projekt mit der Bezeichnung INSIGMA gearbeitet wird, doch woher die Gelder dafür kommen, ist bisher nicht geklärt, da abgesehen von der Tatsache, dass dieses Projekt von mehreren INDECT Beteiligten öffentlich erwähnt wurde und auch auf der INDECT Webseite ein kurzer Hinweis [2] dazu veröffentlicht worden ist, ansonsten bisher nur sehr wenig Informationen zu INSIGMA verfügbar sind. Jedoch scheint es bei diesem Projekt ebenfalls um die Entwicklung von Audio- bzw. Videoüberwachung zu gehen. Und vermutlich wird auch noch an anderen Projekten getüftelt.

   UPDATE: Mittlerweile sind weitere Details zu Projekt INSIGMA veröffentlicht worden, siehe dazu:
   Projekt INSIGMA und weitere Forschungsprojekte im Rahmen von INDECT


Das muss man den Projektbeteiligten jedenfalls lassen: sie scheinen wirklich sehr intensiv an ihren Forschungen zu arbeiten und um Resultate bemüht zu sein. Mit möglichen Konsequenzen ihrer Forschungsarbeiten beschäftigen sie sich allem Anschein nach aber nur wenig. Beim 27. „Chaos Communication Congress“ etwa stahl ein Mitarbeiter von INDECT aus Polen [3] – wie er selbst sagte – einer jungen Dame, die dort einen Vortrag zu INDECT hielt, die Show. Weshalb er auf diese Idee kam, ist mir nicht ganz klar, denn er ist Kryptologe bei INDECT und war in keiner Weise fähig, auf ethische, soziale oder politische Fragen bezüglich des Projektes einzugehen, obwohl es bei diesem Vortrag ja vor allem darum, und nicht um technische Details ging. Er meinte dazu nur, politische Diskussionen sollten mit der EU Kommission und nicht mit ihm geführt werden. Dieser Vorschlag ist an sich auch durchaus nachvollziehbar, das Problem ist dabei nur, dass bisher nicht einmal Abgeordnete und sonstige Politiker ernsthafte Informationen von der EU Kommission bezüglich INDECT zu bekommen scheinen, geschweige denn Journalisten oder „einfache“ Bürger.

Dieser INDECT Mitarbeiter nahm sich jedenfalls geduldig etwa eine halbe Stunde Zeit, auf Fragen des Publikums einzugehen (oder diesen auszuweichen), alles in allem hat der gute Mann allerdings gar nicht sonderlich viel gesagt, auch wenn er viel geredet hat. Was nach dieser halben Stunde aber recht klar war, war seine Einstellung bezüglich seiner eigenen Verantwortung als Wissenschaftler: Ihm schien die Idee, selbst Verantwortung für mögliche negative Konsequenzen seiner Forschungsarbeiten zu übernehmen recht fremd zu sein. Er ist ja nur Wissenschaftler - der forscht und sich nicht darum kümmert, was mit seinen Forschungsresultaten irgendwann geschehen könnte... Der mehrfach gestellten Frage, was die Endziele dies Projektes wären, wich er dann auch immer wieder mehr oder weniger geschickt aus. Er erwähnte, dass die irische Polizei besonders scharf auf Drohnen sei und dass man INDECT auch im Kampf gegen Kinderpornografie gut einsetzen könne. Über kommerzielle Ziele des Projektes weiß er nichts.

Sein Kollege Mikołaj Leszczuk, der ebenfalls in Polen an INDECT forscht, war in einem Radiointerview [4] diesbezüglich nicht so zurückhaltend. Er meinte ganz klar, dass man ihre Forschungsarbeiten an INDECT, sobald diese funktionstüchtig sind, auch kommerzialisieren würde und dass sie mit möglichen Interessenten auf jeden Fall kooperieren würden. Auf mögliche Gefahren von Missbrauch dieser Technologien angesprochen meinte er nur, dass man ja die Gesichter auf Videoaufzeichnungen verpixeln könne und so dann niemand missbräuchlich seine eigene Frau mit INDECT verfolgen kann.

Das was für die meisten der technischen Wissenschaftler von INDECT nur eine harmloses Forschungs-projekt ist, könnte jedoch irgendwann zu einer sehr gefährlichen Waffe werden. Natürlich basteln sie nicht an konventionellen Waffen wie Bomben oder Schußwaffen - diese werden von den westlichen Staaten in der Regel ja auch vorwiegend zur Verteidigung der äußeren Sicherheit verwendet. Technologien wie INDECT aber werden, wenn sie einmal funktionsbereit sind, vor allem zur Verteidigung der inneren Sicherheit Verwendung finden. Sind diese Technologien erst einmal implementiert, eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten zur flächendeckenden Überwachung. Spielfilme wie „Der Staatsfeind Nr.1“ oder „Minority Report“ oder Orwell's Buch 1984 werden dann vielleicht etwas von ihrem Beigeschmack von Science Fiction verlieren und nette Worte wie „Unschuldsvermutung“ könnten dann sehr bald aus unserem Vokabular verschwinden und durch Worte wie „Generalverdacht“ oder „Pre-crime Prävention“ ersetzt werden.

Wenn diese Technologien, die aus Projekten wie INDECT resultieren, erst einmal funktionsbereit sind, ist es nur noch eine Frage der Zeit bis man damit beginnen wird, diese auch an allen möglichen Orten zu implementiert. Zuerst in öffentlichen Ballungszentren wie U-Bahnen, Bahnhöfe, Flughäfen usw. und dann, wenn sie sich dort als effektiv erweisen, wird die Implementierung in urbaner Umgebung immer weiter ausgeweitet werden. Der Ablauf wird derselbe sein wie bei den CCTV Überwachungskameras, welche sich in den letzten Jahren immer weiter in den Städten der EU verbreitet haben, sodass sie mittlerweile schon zum Stadtbild einer modernen Stadt gehören.

Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch völlig unklar ist, wer schlussendlich die Endkunden für Technologien wie INDECT sein werden, ergeben sich eine Vielzahl potenzieller Risiken die hinter solchen Technologien stecken. Zumal das gesamte Projekt schon rein konzeptionell mit dem europäischem und deutschem Datenschutz- und Verfassungsrecht im Widerspruch steht. Selbst wenn INDECT und ähnliche Technologien nur von Polizei und Militär eingesetzt werden, ist die Gefahr von Missbrauch vermutlich wesentlich höher als der angebliche Nutzen im Sinne von verbesserter Sicherheit für die Bürger. Doch die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass diese Technologien irgendwann auch an verschiedenste andere Stellen verkauft werden - angefangen von Geheimdiensten über private Sicherheitsdienste bis hin zu paramilitärischen Organisationen. Die potenziellen Risiken wären dann noch bei weitem höher. Gewiss ist nur, das der Steuerzahler Forschungsarbeiten an Technologien zu seiner eigenen Überwachung finanziert und irgendwann irgendwelche Konzerne sehr viel Profit damit machen werden. Und wir werden dafür dann flächendeckend überwacht. Ob die Bevölkerung aus diesen Sicherheitsmaßnahmen gleich viel Nutzen ziehen wird wie die Sicherheitsindustrie ist jedoch eine andere Frage.

Über den Nutzen und die Sinnhaftigkeit solcher Sicherheitsforschungsprogramme kann man viel diskutieren. Es gibt da etwa ethische Bedenken: Will wirklich jeder ständig und überall überwacht werden, nur um dadurch vielleicht, vielleicht auch nicht, etwas sicherer zu sein? Es gibt soziale Bedenken: Wie wird sich das gesellschaftliche Leben verändern, wenn wir alle wissen, das wir ständig von intelligenten Computersystemen überwacht werden, welche uns permanent nach abnormem oder auffälligem Verhalten abscannen. Oder auch politische Bedenken: Was wird aus mehr oder weniger demokratischen Ländern, wenn das Volk von einigen Wenigen permanent überwacht werden kann und keiner diese Überwacher überwacht.

Aber auch die USA arbeiten an ganz ähnlichen Projekten wie INDECT. Allein die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) hat mehrere Forschungsprogramme auf diesem Gebiet. CTS oder Combat Zones That See [5] beispielsweise ist ein Projekt mit dem Ziel, in bestimmten abgegrenzten Gebieten wie Frontlinien oder auch in Städten, nach eigenen Angaben, „alles was sich bewegt zu verfolgen.“ Dies wollen sie mit Hilfe eines massiven Überwachungskamera-Netzwerkes erreichen welches mit einem Computer-system mit künstlicher Intelligenz verbunden ist und jede Bewegung identifizieren und verfolgen kann. Auch das Video Image Retrieval and Analysis Tool (VIRAT) Programm [6], das vom Information Processing Technology Office (IPTO) der DARPA mit $20 Millionen finanziert wird, zielt auf ähnliche Technologien wie jenen von INDECT ab. Ziel des Programmes ist, eine Database zu entwickeln die große Mengen an Videomaterial speichert und die man mit Hilfe von intelligenten Software-Agenten schnell nach gewünschten Videoinhalten durchsuchen kann. Mind's Eye [7] ist noch ein weiteres Projekt der DARPA zur intelligenten Video-Analyse mittels künstlicher Intelligenz.

Sicherheit und Sicherheitsforschung ist also nicht nur in der EU ein großes Thema, sondern auch in den USA beispielsweise. Und das nicht erst seit 9/11. Doch seit 2001 ist ein regelrechter Sicherheitswahn in der westlichen Welt ausgebrochen. Nachdem der Kalte Krieg vorbei war und der kommunistische bzw. sozialistische Feind verschwand – der, wie uns gesagt wurde, unser aller Leben bedrohte – haben wir nun eine neue Bedrohung, einen neuen Feind: den islamistischen internationalen Terrorismus. Und uns wird gesagt, wir wären in großer Gefahr, alle jederzeit von einem Selbstmordattentäter oder durch eine schmutzige Atombombe in die Luft gesprengt zu werden. Jeder Nachbar, selbst der blonde, blauäugige der gerne Volksmusik hört könnte ein Schläfer sein der in irgendeinem Al-Qaida-Terrorcamp in Pakistan zum Terroristen ausgebildet wurde und nun in seinem Keller sitzt und an einem noch viel größeres Massaker als 9/11 tüftelt. Wir sind alle in akuter Gefahr von uneinschätzbaren irren Fanatikern in die Luft gesprengt zu werden. Darum brauchen wir mehr Sicherheit und all diese Sicherheitsprogramme, und darum müssen immer noch verschärftere Sicherheitsmaßnahmen her.

Denn nur aufgrund der paar wenigen Menschen in unserer Gesellschaft die komplett aus dem Ruder laufen - wie Mörder, Vergewaltiger oder Kinderschänder - ist es schwierig, der Bevölkerung klarzumachen, dass jeder einzelne permanent und überall zu seiner eigenen Sicherheit überwacht werden muss, und dass dafür Technologien wie INDECT entwickelt werden müssen. In Deutschland gibt es beispielsweise ca. 1000 Morde pro Jahr, und deswegen sollen 80 Millionen Menschen immer und überall überwacht werden? Das ist nicht sonderlich überzeugend.

Man braucht also einen besseren, einen eindrucksvolleren Grund, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie – zu ihrer eigenen Sicherheit – immer besser überwacht werden muss. Und was für ein Grund wäre da geeigneter als internationaler islamistischer Terrorismus mit Schläfern in jeder Ecke die nur darauf warten, unschuldige Zivilisten wegzusprengen. Damit macht man Sicherheitsprogramme für die Bevölkerung schmackhaft. Mit zum Teil völlig bizarren Horrorgeschichten bringt der Staat die Menschen dazu, aus Angst ganz von selbst nach mehr und mehr Überwachung zu rufen.

Nun einmal angenommen, all diese doch recht dubiosen islamistischen Terrororganisationen existieren wirklich. Dann sollte man vielleicht erst einmal ergründen, weshalb diesen Terroristen so viel daran liegt, Krieg gegen die westliche Welt zu führen und hier Gebäude und Menschen in die Luft zu sprengen. Liegt das einfach nur daran, wie George W. Bush so schön sagte, dass sie böse sind und unsere Freiheiten hassen? Viel wahrscheinlicher als das sie uns – dich und mich – hassen, ist, dass sie unsere Regierungen der EU und der USA hassen. Und dafür haben bestimmt auch einige von ihnen recht gute Gründe. Dazu muss man nur einen Blick auf Afghanistan werfen. Diesem Land haben unsere Regierungen mit ihren Militärs und privaten Sicherheitsagenturen wie Blackwater bzw. Xe Services im letzten Jahrzehnt so viel Freiheit und Frieden gebracht, dass die US- und EU-Truppen dort ständig verstärkt werden müssen. Denn tatsächlich herrscht dort seit zehn Jahren Krieg und das ganze Land ist in Chaos und Anomie zerfallen. Und nebenbei kontaminiert die USA ganze Landstriche in für Jahrzehnte mit ihrer Uranmunition mit der sie Menschen, Böden, Gewässer und die Luft verseuchen.

Aber vielleicht hassen diese islamistischen Terrorgruppen unsere Regierungen auch deshalb, weil diese Menschen des öfteren miterlebt haben, wie unsere Regierungen die Regierungen in islamischen und anderen Ländern immer gleich zu Sturz brachten, sobald diese es wagten, irgendetwas gegen die US- oder EU-Interessen zu tun. Wie etwa 1953 im Iran der demokratisch gewählte Premierminister Mohammad Mossadegh von CIA und MI6 zu Fall gebracht wurde weil er es sich erlaubte, die iranische Ölindustrie zu verstaatlichen. Damit waren die westlichen Regierungen nicht sonderlich glücklich und installierten dafür nach ihrem Coup d'etat eine Diktatur unter Mohammad-Rezā Shāh Pahlavi welche über 25 Jahre andauerte. Oder vielleicht mögen sie unsere Regierungen nicht, weil diese in ihren Wahnvorstellungen, Weltpolizei spielen zu müssen, sich andauernd in Angelegenheiten anderer Länder einmischen und die Welt als ihre Spielwiese ansehen. So wie beispielsweise die deutsche Regierung davon überzeugt ist, dass ihre Sicherheit mit Truppen am Hindukusch verteidigt werden müsse.

Denkt man kurz etwas ernsthaft über die Frage nach, weshalb Muslime auf die Idee kommen sollten, Terrororganisationen zu gründen und Anschläge in der westlichen Welt zu verüben, so kommt man auch noch auf einige andere Ursachen und Gründe. Die aller meisten dieser Gründe beziehen sich allerdings mehr auf die Abneigung dieser Menschen gegenüber verschiedener westlicher Regierungen und deren „Engagement“ in muslimischen Ländern, und nicht so sehr darauf, dass diese Terroristen einfach die Menschen in der westlichen Welt und deren Freiheit hassen. Unsere Regierungen würden dies jedoch niemals öffentlich eingestehen. Denn daraus würde bezogen auf die Diskussionen über unsere Sicherheit ein kleines Dilemma entstehen: Dann nämlich würde der Staat Überwachungsprojekte wie INDECT zu unserer eigenen Sicherheit entwickeln, nur um uns damit vor den Bedrohungen beschützen zu können, welche er selber produziert (und provoziert). In diesem Fall wäre es vielleicht sinnvoller, all das Geld welches in Sicherheitsprojekte wie INDECT investiert wird, stattdessen für Forschungsprojekte auszugeben welche dabei helfen könnten, das alle Menschen und Nationen dieser Welt etwas friedlicher und sicherer miteinander leben können.

All das setzt natürlich voraus, dass die ganze Geschichte mit der Bedrohung durch internationale islamistische Terrororganisationen überhaupt der Realität entspricht. Es existieren genügend Indizien die berechtigte Zweifel diesbezüglich aufkommen lassen könnten. Jedenfalls gibt es mittlerweile genügend gut fundierte Forschungsarbeiten über alle möglichen Fälle aus unserer nähren Vergangenheit, aus denen deutlich hervorgeht, dass nicht nur die bösen Schurkenstaaten und ihre Diktatoren, sondern auch unsere eigenen europäischen Staaten, und auch die NATO mit ihren Stay-Behind Organisationen [8] mehr als nur gelegentlich in terroristische Aktivitäten verwickelt waren und dies wohl auch immer noch sind. In diesem Zusammenhang ist es z.B. auch recht aufschlussreich, einmal die US-Army Definition von „Low Intensity Warefare“, einer Taktik welche die USA ja ganz offiziell verfolgen, mit ihrer Definition von „Terrorismus“ im US-Code zu vergleichen. Dabei wird man feststellen, dass fast kein Unterschied zwischen beiden existiert. Dies sei jedoch nur am Rande bemerkt. In Anbetracht dieser Fakten müsste man dann allerdings noch ganz andere Fragen zur Sinnhaftigkeit und zum Nutzen von Sicherheits- und Überwachungs-programmen stellen, welche den Rahmen dieses Artikels allerdings sprengen würden. 


Domingo Conte, 20. Januar 2011



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Quellen:

[8] Zu diesem Thema siehe z.B.: Daniele Ganser - NATOS Secret Armies - Operation Gladio and Terrorism in Western Europe (2005)
 
[Für alle hier nicht angegebenen Quellen bezogen auf Projekt INDECT, siehe Projekt INDECT Research Paper]



Ausführlichere Informationen zu INDECT sind hier zu finden:





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ANHANG:

Meine Nachforschungen zu Projekt INDECT begannen ursprünglich aus rein persönlichem Interesse. Über den Zeitraum von mehr als einem Jahr sammelte ich akribisch alle nur auffindbaren Informationen dazu zusammen und studierte diese. Gegen Ende 2010 kam ich dann auf die Idee, einen kleinen Artikel zu diesem Thema zu schreiben und ich dachte mir: vielleicht wird dieser dann ja irgendwo mal veröffentlicht.

Der erste Rohentwurf dieses Artikels, bestehend aus 3,4 Seiten wuchs aber ziemlich schnell immer mehr an und wurde immer detaillierter. Als er dann schlussendlich knapp 20 Seiten lang war, kamen mir ersten Zweifel. da das Papier nun viel zu lang und auch zu technisch war um es in Zeitungen etc. veröffentlichen zu können, und ich fragte mich, wie viel Sinn es eigentlich macht, so viel Zeit und Arbeit in dieses Papier zu investieren, wenn es am Ende dann doch niemand liest bzw. wenn ich nur ein paar wenige Menschen damit erreichen würde.

Da ich in meiner Arbeit aber schon so weit fortgeschritten war, entschloss ich mich dazu, einen ersten, publikationsfähigen Rohentwurf online zu stellen. Dies war am 14.1.2010. Und der Zeitpunkt hätte wohl kaum besser gewählt sein können. Denn bereits am darauf folgenden Montag lief der - meines Wissens nach - erste, wenn auch kurze Bericht über INDECT im deutschsprachigen Fernsehen. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein Link zu meinem Blog im INDECT Artikel der deutschen Wikipedia erschienen. Und schon am Tag darauf hatte ich meine ersten 600 Besucher auf diesem Blog, am fünften Tag waren es bereits knapp über 1000 - und all das ohne jegliche Art von Werbung oder Promotion meinerseits. Alles was ich bis dahin getan hatte, war den Link zu meinem Blog an einige wenige Bekannte weiterzugeben und ihn auf 2,3 anderen Blogs, die ebenfalls kurze Berichte zu INDECT veröffentlicht hatten, in den Kommentaren dazu zu posten.

Jedenfalls scheint das Interesse an INDECT wesentlich größer zu sein, als ich es mir eigentlich gedacht hatte - was mich  sehr freut. Da viele Menschen bisher noch überhaupt nie von INDECT gehört haben, habe ich mich nun dazu entschlossen, diese kurze Einführung zu Projekt INDECT zu verfassen, um jenen, die sich erst seit kurzem mit dem Thema befassen, einen kleinen Einblick zu ermöglichen - angesichts der Tatsache, dass mein Research Paper zu Projekt INDECT doch recht umfangreich und teils auch relativ technisch ist.



Ausführlichere Informationen zu INDECT sind hier zu finden:

Projekt INDECT - Einblicke in das Europäische Sicherheitsforschungsprogramm