Projekt INSIGMA
und weitere Forschungsprojekte im Rahmen von INDECT
In einer auf der offiziellen INDECT Webseite veröffentlichten Meldung erfuhr man vor einer Weile von einem Projekt mit der Bezeichnung INSIGMA, welches anscheinend ebenfalls in Zusammenhang mit Projekt INDECT initiiert worden ist. Doch abgesehen von dessen Namen und ein paar nicht sonderlich informativen Details wurde nichts genaueres zu dem Projekt bekannt gegeben.
„INSIGMA ist ein Projekt das koordiniert wird von den Mitgliedern des INDECT Konsortiums, Department für Telekommunikation der AGH University of Science and Technology.“[1] hieß es in der Meldung. Und eines der Hauptziele des Projektes bestünde darin, Methoden zur Erkennung von Bedrohungen und gefährlichen Situationen zu entwickeln, durch die Analyse dynamischer Karten und der verfolgten Objekte. Des weiteren wurde erklärt: „Im Gegensatz zum Forschungsfeld von INDECT, beschäftigt sich INSIGMA mit dem Erkennen verschiedener Arten von Bedrohungen, wie z.B. Verkehrssituationen, das Tragen gefährlicher Materialien in Städten, Verkehrsstau usw.“
Das waren die gesamten, doch recht vagen Informationen welche auf der INDECT Webseite dazu veröffentlicht wurden. Es wurde nur noch erwähnt, dass sowohl INDECT also auch INSIGMA Mitglieder auf der MCSS Conference am 6. und 7. Mai 2010 teilgenommen hätten und das diese INDECT International Conference on Multimedia Communications, Services & Security vom Department of Telecommunications veranstaltet wurde. Dabei handelte es sich angeblich um ein akademisches Forum auf dem die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Bezug auf Multimedia-Kommunikation und Sicherheitssysteme präsentiert worden sind. Dazu weiter unten noch mehr.
In zwei INDECT Deliverables [2] wird INSIGMA dem Namen nach auch an ein paar Stellen genannt und in einem Telepolis Artikel [3] wurde erwähnt, dass der Projektleiter von INSIGMA Professor Andrzej Dziech wäre, also die selbe Person die auch INDECT leitet. Ein, zwei Mitarbeiter von INDECT haben das Projekt auch bereits kurz öffentlich erwähnt [4], doch ansonsten herrschte Stille um INSIGMA. Selbst umfassende Internet-Recherchen brachten bis vor kurzem keine weiteren wirklich konkreten Daten zu diesem Projekt ans Licht.
Nun hat die polnische Privatuniversität für Computer Engineering and Telecommunication (WSTKT)[5] ein paar weitere Details zu INSIGMA veröffentlicht. Eine offizielle Projekt-Webseite [6] existiert ebenfalls bereits, allerdings nur auf Polnisch. Auf der WSTKT Seite[7] werden zwei Projekte erwähnt, an denen sich die Universität momentan beteiligt, und dort findet man auch ein einige weitere Informationen zu INSIGMA. Hier wird nun auch geklärt, für was das Akronym INSIGMA eigentlich steht: „Intelligent Information System for Global Monitoring, Detection and Identification of Risks.“ (Intelligentes Informationssystem zur Globalen Überwachung, Erkennung und Identifikation von Risiken). Offensichtlich wollte man damit, jedenfalls der Namensgebung nach, dem Total Information Awareness Programm der USA Konkurrenz machen.
Aber einmal ernsthaft: Wer überlegt sich für ein aus öffentlicher Hand finanziertes Projekt denn einen solchen Namen? Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Projekt bis vor kurzem völlig abseits der Öffentlichkeit im geheimen lief. Welcher Steuerzahler würde schon freiwillig ein Projekt der EU mitfinanzieren das solch einen Namen trägt – noch dazu, wenn man weiß, dass die Hauptbeteiligen daran militärische Institutionen sind? Doch das weiß natürlich fast niemand, denn auch jetzt, nachdem einige Informationen zu INSIGMA öffentlich gemacht wurden, ist einiges an Nachforschung nötig, um an all diese Informationen zu gelangen.
Auf der Seite der Privatuniversität für Computer Engineering and Telecommunication heißt es weiter, INSIGMA wäre ein großes Forschungs- und Entwicklungsprojekt des Polish Ministry of Science and Higher Education, in Kooperation mit der AGH University of Science and Technology, dem Military Communication Institute in Zegrze und der Military University of Technology in Warschau. Das Projekt läuft seit 2010 bis 2015, verfügt über ein Budget von €4.4 Millionen und ist, wie INDECT, an der Krakauer Universität angesiedelt. Man erfährt dort auch die Hauptziele des Projektes:
- die Entwicklung von automatischen Methoden zur Überwachung und Registrierung von Parametern von sich bewegenden Objekten, Verfahren zur Übertragung und Archivierung der registrierten Daten und Techniken zur Identifikation von Personen innerhalb verfolgter Objekte.
- Erkennung von Risiken und Analyse verschiedener Verkehrsparameter auf dem Hintergrund dynamischer Karten.
- Identifizierung von Menschen und Detektion von Risiken mit Hilfe von mobilen Geräten durch intelligente Überwachung und Suche von Menschen.
Auf der Webseite der Intelligent Information Systems Group (IISG) [8], welche Teil des AGH Computer Science Department ist, wird bestätigt, dass Andrzej Dziech das INSIGMA Projekt leitet. Zu den Zielen des Projektes wird dort erklärt: „Ziel des Projektes ist die Erschaffung und Verwendung komplexer Informationssysteme zur Detektion, Bedrohungsidentifikation und Überwachung sich bewegender Objekte.“ Auch wer das Projekt finanziert erfährt man hier: die Europäische Union, das Innovative Economy Programme und der European Fund for Regional Development.
Und auf der offiziellen polnischen INSIGMA Webseite [9] die es, wie bereits erwähnt, nur auf Polnisch gibt (was die Nachforschungen nicht sonderlich erleichtert), findet man noch mehr Details zum Projekt. So sollen urbane Umgebungen von Kameras mittels Analyse verschiedener Faktoren, die auf eine größere Gefahr für die Sicherheit der Bevölkerung hindeuten, überwacht werden. Das System soll potenzielle Gefahren und Bedrohungen frühzeitig erkennen und eine Echtzeit-Visualisation der überwachten Umgebung liefern. Die Datenanalyse erfolgt durch ein Sensoren-Netzwerk das imstande ist, Veränderungen der Position von Objekten zu erkennen sowie plötzliche Veränderungen von Temperatur, Druck und der Konzentration gefährlicher Stoffe.
Des weiteren heißt es auf der Seite: „Um einen hohen Grad an Sicherheit zu gewährleisten wird auch die RFID (Radio Frequency Identification) Technologie angewendet um aus der Entfernung Objekte zu identifizieren.“ Informationen zur Lokalisierung werden mittels GSM, UMTS und GPS übertragen. Die durch ein Netzwerk von Kameras und Sensoren erhaltenen Daten werden automatisch kontextbezogen analysiert und etwa nach spezifischen Gesichtern, menschlichen Profilen, Formen von Fahrzeugen und anderen Objekten und deren Bewegungsmustern durchsucht. Dadurch soll das INSIGMA System dazu fähig sein, frühzeitig Risiken und Gefahren erkennen und auch vorhersagen zu können. Aus einem Papier zum Thema Transmission von Video Überwachung [10] geht hervor, dass man im Rahmen von INSIGMA auch daran arbeitet, Videos in HD Qualität über HSDPA-Wireless-Internetverbindungen in Echtzeit streamen zu können.
Das Wort „Straßenverkehr“ taucht recht häufig in den veröffentlichten Informationen zu INSIGMA auf, was darauf hindeutet, dass das Projekt vorrangig darauf ausgerichtet zu sein scheint. Es geht aber auch klar hervor, dass mit dem System auch Menschen verfolgt und identifiziert werden können. Ob sich das frühzeitige Erkennen von Gefahren und Bedrohungen nun nur auf den Straßenverkehr beschränkt, wird aus den veröffentlichten Informationen nicht ersichtlich. Auf der INSIGMA Webseite heißt es, dass das fertige System zur verbesserten Sicherheit in großen urbanen Gebieten als auch für einzelne Objekte eingesetzt werden könne und das INSIGMA dem Schutz der Bürger und deren Gemeinwohl dienen würde. Wenn das zutreffen sollte, könnte man jedenfalls darüber spekulieren, weshalb dann das Militär an dem Projekt beteiligt ist und nicht Polizeibehörden und andere Sicherheitsdienste welche eigentlich für den Schutz der Bürger und des Gemeinwohls zuständig sind.
Laut der Webseite fand bereits Anfang Mai 2010 die erste von Projekt INSIGMA organisierte internationale Konferenz [11] - mit 80 Teilnehmern – statt, welche von Firmenrepräsentanten, der Presse und Wissenschaftlern verschiedener Universitäten und militärischer Einrichtungen besucht worden ist. Dabei handelt es sich um dieselbe bereits anfangs erwähnte MCSS Conference bei der die bisherigen Resultate in den Bereichen Multimediasysteme, Dienstleistungen, Kommunikation und Sicherheitssysteme präsentiert worden sind. Auf der Seite heißt es allerdings auch, dass das Ziel der Veranstaltung darin bestand, INSIGMA möglichen Interessenten vorzustellen und von einem „akademischen Forum“, wie in der Meldung auf der INDECT Webseite, ist hier nirgendwo die Rede. Es wird zwar auch erwähnt, dass die Konferenz eine Gelegenheit gewesen sei, ethische Fragen betreffend der Privatsphäre der Bürger in Bezug auf sicherheitsbezogene Forschungen anzusprechen, inwieweit diese "Gelegenheit" jedoch auch von den Teilnehmern wahrgenommen worden ist, bleibt allerdings offen. Die erwähnte Presse, die ebenfalls auf dieser Konferenz anwesend gewesen sein soll, hat jedenfalls anscheinend nie etwas dazu veröffentlicht. Man kann davon ausgehen, dass es sich bei diesem „akademischen Forum“ eigentlich um eine Marketingveranstaltung gehandelt hat, da sogar konkrete Branchen genannt werden, mit denen man sich eine Zusammenarbeit vorstellen könnte. Firmen und Institutionen aus dem Landtransportwesen etwa, oder Aktivitäten im Bereich Film oder schnurlose Kommunikationsübertragung.
In einem Buch [12] das 2010 u.a. von Andrzej Czyzewski von der Gdańsk University of Technology, einem der Leiter von Projekt INDECT, herausgegeben wurde, wird INSIGMA auch im Zusammenhang mit einem Projekt zur "Erkennung gefährlicher Klänge" erwähnt. Dort wird an Audio-Überwachungstechnologien geforscht mit denen man gefährliche Situationen wie etwa Gewehrschüsse, Explosionen oder zerbrechendes Glas anhand ihrer akustischen Repräsentation erkennen will. Zu diesem Projekt heißt es: „[Die] Forschungen werden innerhalb des Projektes POIG.01.01.02-00-062/09 INSIGMA (Intelligent Information System for Detection and Recognition of Audio…) finanziert.“[13] Wenn das zutreffend ist, stellt sich nur die Frage, weshalb die Projektmitarbeiter bzw. die Autoren nicht in der Lage sind, die korrekte Bezeichnung für INSIGMA in ihrem Buch zu veröffentlichen. Jedenfalls ist die dort nachzulesende Bezeichnung von INSIGMA wesentlich harmloser als die korrekte Variante: „Intelligent Information System for Global Monitoring, Detection and Identification of Risks.“
In dem Buch erfährt man auch, das Andrzej Czyzewski noch an einem weiteren Projekt mit der Bezeichnung "Superresolution Algorithm to Video Surveillance System" beteiligt ist, welches ebenfalls recht interessant zu sein scheint, vor allem in Bezug auf Projekte wie INDECT oder INSIGMA. Die Grundidee des Systems besteht in einem Superresolution-Algorithmus [14] der dazu dient, die Auflösung und Qualität von Bildern niedriger Auflösung zu verbessern. Superresolution wurde ursprünglich für Spionagesatelliten, das Militär und Geheimdienste entwickelt und wird heute u.a. in der medizinischen Diagnostik und auch in der Videoindustrie verwendet. In diesem Projekt wird an einem Superresolution-Algorithmus geforscht, mit dessen Hilfe man aus vielen Bild-Frames (z.B. von Überwachungskameras) mit niedriger Auflösung ein einzelnes hochauflösendes Bild erzeugen kann. So sollen dann beispielsweise Gesichter oder Autokennzeichen von Überwachungskamera-Aufnahmen mit niedriger Bildauflösung trotz deren schlechter Bildqualität identifizierbar gemacht werden.
Ein weiteres Projekt an dem ebenfalls die AGH University of Science and Technology und die University of Computer Engineering and Telecommunication beteiligt sind trägt den Namen INTOM [15] - “Integrated, intelligent monitoring system for detection and identification of movable objects for security purposes” (Integriertes Intelligentes Überwachungssystem zur Detektion und Identifikation beweglicher Objekte zu Sicherheitszwecken). Das Grundkonzept des INTOM Systems basiert den veröffentlichten Informationen zufolge auf einer Multilayer-Struktur: Der erste Layer besteht aus mobilem Equipment und fixen Video- und Audio-Überwachungssystemen, und der zweite Layer aus Servern die in der Lage sind, Objekte zu lokalisieren und ihre Fortbewegungsgeschwindigkeit oder Aufenthaltsdauer an einem Ort zu ermitteln und automatisch zu analysieren. Das System wird via Internet oder anderen Netzwerken ferngesteuert und lokale Server können in einem großen Rahmen zusammengeschlossen werden um so einen Datenaustausch zwischen verschiedenen Ländern zu ermöglichen. Soviel zu den technischen Details des Projektes, zu finanziellen Details findet man wieder einmal keine Informationen. Auch nicht dazu, ob es sich bei ITOM um ein autonomes Projekt handelt, oder ob es, wie INSIGMA, im Rahmen von INDECT gestartet worden ist.
Auf der Webseite der Europäischen Kommission zu ihren aktuell im Rahmen des 7th Framework Programme laufenden Projekte sind jedenfalls weder zu INTOM noch zu INSIGMA irgendwelche Informationen zu finden. Über Projekt INSIGMA existieren mittlerweile zumindest öffentlich zugängliche Informationen über das Budget und zur Finanzierung: €4.4 Millionen, von der EU, dem Innovative Economy Programme und dem European Regional Development Fund finanziert. Beides sind Programme der EU zur Stimulierung der Wirtschaft.
Das Innovative Economy Programme etwa wird zwischen 2007 und 2013 mit €8.25 Milliarden von der Europäischen Union finanziert [16] und wurde explizit zur Verbesserung der polnischen Wirtschaft und zur Förderung innovativer polnischer Unternehmen initiiert. Der European Regional Development Fund (ERDF) [17] dient dem Zweck, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der EU durch die Korrekturen von regionalen Ungleichgewichten zu fördern. INSIGMA wird also offensichtlich ausschließlich von der EU bzw. von Steuergeldern bezahlt, und das, obwohl das Militär der größte Interessent an diesem Projekt mit dem vielsagenden Namen „Intelligentes Informationssystem zur Globalen Überwachung, Erkennung und Identifikation von Risiken“ zu sein scheint. In Anbetracht der Finanzierung erweckt INSIGMA aber auch den Eindruck, es wäre vor allem zur Ankurbelung der Wirtschaft ins Leben gerufen worden.
Mit viel Unterstützung der EU wird jedenfalls in verschiedenen Institutionen, wie der AGH University of Science and Technology, offensichtlich recht intensiv an Forschungen im Bereich Überwachungs-technologien gearbeitet. Was davon alles aus Steuergeldern der EU finanziert wird, ist derzeit nicht ganz klar, und ein endgültiges Gesamtziel all dieser Forschungen ebenso nicht.
- Domingo Conte (5. Feb. 2011)
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Quellen:
[10] Andrzej Głowacz, Tomasz Pawlicki, Jehoszafat Zimnowoda: Video Surveillance Transmission over Polish HSPA, AGH University of Science and Technology
[12] Ngoc Thanh Nguyen, Aleksander Zgrzywa, Andrzej Czyzewski (Eds.): Advances in Multimedia and Network Information System Technologies, Springer, 2010, p. 49-57 bzw. 105-112 siehe Google books
[13] Andrzej Głowacz, Tomasz Pawlicki, Jehoszafat Zimnowoda: Video Surveillance Transmission over Polish HSPA, AGH University of Science and Technology, p. 56: „Acknowledgments“