Zur Lage der Welt 2010

...einige gesammelte Daten und Fakten
von Domingo Conte




Traditionell veröffentlichen die meisten Medien angesichts der Jahreswende eine Art "Jahresrückblick" - dort kann man dann eine Sammlung von mehr oder minder interessanten Schlagzeilen, Fakten und Daten begutachten, und man erfährt, welche Stars gestorben sind, welche Adligen geheiratet haben oder sich scheiden ließen, wer in welcher Sportart Erfolge oder Niederlagen erzielte, und ähnliche, eigentlich längst im „memory-hole“ verschwundenen „News“ mit meist geringem Unterhaltungswert. und zweifelhaftem Informationsgehalt.

Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, angesichts der Jahreswende einige Daten und Fakten zusammenzutragen welche fast nie in den Mainstream-Medien Erwähnung finden, da ihr Unterhaltungswert gleich null ist, und weil sich diese Daten über die Jahre hinweg auch nur wenig ändern bzw. wenn doch, dann nur in negativer Hinsicht – vor allem aber deswegen, weil sie weit von uns, der „zivilisierten“ westlichen Welt entfernt scheinen. Für die meisten sind es nur Zahlen auf dem Papier ohne realen Bezug oder Zusammenhang mit der Welt, in der sie leben. Doch sagen sie Zahlen weit mehr über "uns" als Gesellschaft und "Weltgemeinschaft" aus, als die meisten Jahresrückblicke in den Medien. Hier nun also ein paar Informationen über den Stand der Welt Ende 2010.

Ende 2010 haben wir (offiziell noch nicht ganz) die 7 Milliarden-Marke erreicht. Fast die Hälfte der gegenwärtigen Weltbevölkerung - über drei Milliarden Menschen - lebt von weniger als $2.50 pro Tag. 1.4 Milliarden leben von weniger als $1.25 [1], und 80% aller Menschen leben von weniger als $10 am Tag.[2] Die ärmsten 40% der Weltbevölkerung verfügen über 5%, die reichsten 20% über dreiviertel des weltweiten Einkommens.[3] Die Gesamtzahl aller in Armut lebenden Menschen ist im Zeitraum zwischen 1981 und 2004 beinahe kontinuierlich gestiegen, vor allem in Afrika wo sich die Zahl der Armen fast verdoppelt hat.[4] 

Das Fortbestehen chronischer Armut, also all jener Menschen die den Großteil oder ihr gesamtes Leben in extremer Armut verbringen und diese generell auch an ihre Kinder weitergeben, ist ein Indikator für die tief verwurzelte Ungleichheit welche von der internationalen Entwicklungsagenda jedoch unberührt bleibt. Diese Familien am untersten Ende der der Entwicklungsleiter, die häufig durch schlechte Gesundheit und mangelnden Zugang zu medizinischer Versorgung in die Armut gedrängt werden, werden 2015 den Großteil der 900 Millionen Menschen in absoluter Armut ausmachen, selbst wenn die Millennium-Entwicklungsziele erreicht würden.[5]

Fast eine Milliarde Menschen kann weder eine Zeitung lesen noch den eigenen Namen schreiben.[6] Ebenso viele Menschen leben ohne jeglichen Zugang zu Elektrizität.[7]

Auf dieser Welt gibt es heute etwa 2.2 Milliarden Kinder. Eine Milliarde davon lebt unter erbärmlichsten Verhältnissen ein Leben von Armut und Krankheit geprägt. Eines von drei Kindern (640 Millionen) hat keine adäquate Unterkunft, lebt in Wellblechbaracken oder auf den Straßen der sich immer schneller und weiter ausbreitenden Slums. Eines von fünf Kindern (400 Milliarden) hat keinen Zugang zu sauberem Wasser, eines von sieben keinen Zugang zu irgend einer Form von Gesundheitsdienstleistungen.[8]
 
Einer von sieben Menschen geht jeden Tag hungrig zu Bett.[9] Schätzungsweise 28% aller Kinder in den Entwicklungsländern sind unterernährt - der Großteil davon lebt in Südasien und Sub-Sahara Afrika.[10] Jeden Tag sterben 22,000 Kinder aufgrund von Armut – alle vier Sekunden eines, 15 jede Minute.[11] Insgesamt sterben täglich zwischen 50.000 und 100.000 Menschen bedingt durch Armut.[12]

Infektionskrankheiten bedrohen das Leben der Armen in der ganzen Welt. Geschätzte 40 Millionen Menschen leben mit HIV/AIDS, mit 3 Millionen Toten allein im Jahr 2010. Jährlich gibt es 350-500 Millionen Fälle von Malaria, mit einer Million Todesfällen pro Jahr.[13]

Das Wasser-Problem betrifft fast die halbe Menschheit: Um die 1.1 Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern haben unzureichend Zugang zu Wasser, trinken aus schlammigen Pfützen verseuchte Flüssigkeiten die wir im Westen nicht einmal als Wasser bezeichnen würden, und 2.6 Milliarden mangelt es an den grundlegensten sanitären Einrichtungen. Von den reichsten 20% der Bevölkerung haben 85% Zugang zu Leitungswasser im eigenen Haushalt, von den Ärmsten 20% nur 25%. 
 
1.8 Milliarden Menschen haben irgendwo im Umkreis von einem Kilometer Zugang zu frischem Wasser welches sie mühsam zu Fuß zu ihren Familien schleppen müssen, und sie verbrauchen davon etwa 20 Liter am Tag. Der durchschnittliche tägliche Wasserverbrauch pro Kopf in Großbritannien liegt bei etwa 150 Liter (davon verwenden sie alleine 50 Liter am Tag für die Klospülung). Den höchsten durchschnittlichen Wasserverbrauch hat die USA mit ca. 600 Liter pro Tag und Person. 12% der Weltbevölkerung konsumieren 85% des Gesamtjahresverbrauchs an Wasser.[14]

Drei von vier Menschen die weniger als $1 am Tag zur Verfügung haben leben in ländlichem Gebiet, und eine ähnliche Anzahl der Weltbevölkerung leidet an Unterernährung. Urbanisierung ist jedoch in keiner Weise ein Synonym für menschlichen Fortschritt. Der Wachstum von Slums übertrifft den urbanen Wachstum bei weitem.[15] Ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten. Im Jahr 2005 lebte einer von drei Stadtbewohnern (etwa 1 Milliarde) in Slums.[16]

In den Entwicklungsländern sind ca. 2.5 Milliarden Menschen um kochen zu können auf Biomasse - Feuerholz, Holzkohle oder Tierdung - angewiesen. Im Sub-Sahara Afrika, in Indien oder in China sind über 80% der Bevölkerung von traditioneller Biomasse zum Kochen abhängig. 
 
10-30% aller Säugetiere, Vögel und Reptilien sind heute aufgrund menschlichen Handelns vom Aussterben bedroht.[17] 75% der genetischen Diversität von agrikulturellen Samen ist verloren. 75% des weltweiten Fischbestandes wurde bereits zerstört oder ist dabei zerstört zu werden. Jede Sekunde wird eine Parzelle Regenwald in der Größe eines Fußballfeldes abgerodet.[18] 

76.6% des weltweiten Privatkonsums wird von den reichsten 20% der Menschheit konsumiert, das ärmste Drittel beteiligt sich daran nur mit 1.5%.[19] Die aller ärmsten 10% der Menschen waren am weltweiten Privatkonsum nur zu 0.5% beteiligt, und die reichsten 10% zu 59%.[20]

Das reichste Fünftel der Menschheit konsumiert 45% von allem produzierten Fleisch und Fisch, 58% aller Energie und 84% allen Papiers. Das ärmste Fünftel konsumiert im Vergleich dazu 5% von allem Fleisch und Fisch, 4% aller Energie und 1.1% allen Papiers.[21]
 
Der Gini-Koeffizient ist ein Maß, mit dem versucht wird, die Ungleichverteilungen auf dieser Welt statistisch darzustellen. Gini-Koeffizienten können beliebige Werte zwischen 0 und 1 haben. Ein Wert von 0 würde bedeuten, dass das gesamte Vermögen eines Staates auf alle Bewohner gleichmäßig verteilt ist, beim Wert von 1 würde das gesamte Staatsvermögen einer einzigen Person gehören, was natürlich in keinem Staat der Falls ist. Jedenfalls je näher der Gini-Koeffizient am Wert von 1 ist, desto größer ist die Ungleichheit. In Japan beispielsweise ist der Vermögens-Gini-Koeffizient mit etwa 55% im Verhältnis sehr niedrig, in den USA, einem Land mit der höchsten Vermögensungleichheit, liegt er im Vergleich dazu etwa bei 80%. 
 
Der Gini-Koeffizient der gesamten Welt liegt ungefähr bei 89%. Um den Grad dieser Ungleichheit zu verdeutlichen: Man stelle sich eine Geburtstagsparty mit 10 Personen vor. Eine dieser Personen nimmt sich nun 99% des Geburtstagskuchens und lässt den anderen 9 Leuten das restliche 1% davon übrig welches sie sich dann teilen müssen.[22]

Die - laut Forbes - sieben reichsten Leute der Welt haben zusammen mehr Vermögen als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der 41 „Heavily Indebted Poor Countries“ (567 Millionen Menschen) beträgt.[23] Das Welt-BIP (mit einer geschätzten Population von 6.5 Milliarden) betrug im Jahr 2006 $48.2 Billionen. Die weltweit reichsten Länder (ca. 1 Milliarde Menschen) verrechneten 76% davon für sich ($36.6 Billionen), die Niedriglohnländer (2.4 Milliarden Menschen) 3.3% ($1.6 Billionen) und der Rest ging an die Länder mit mittleren Einkommen (3 Milliarden Menschen) mit 20.7% (ca. $10 Billionen). 
 
Allein die 500 reichsten Milliardäre dieser Welt (also ca. 0.000008% der Weltbevölkerung) machten mit $3.5 Billionen etwa 7% des Welt-BIP aus. Das Gesamtvermögen der 8.3 Millionen reichsten Menschen betrug 2004 $30.8 Billionen und gab ihnen somit die Kontrolle über beinahe ein Viertel des weltweiten Finanzkapitals.[24] Die reichsten 1% der Menschen besitzen 40% des weltweiten Vermögens, die reichsten 10% besitzen 85% davon.[25]
 
Von den reichsten Staaten dieser Welt erhalten die Entwicklungsländer jährlich ca. $40 Milliarden für grundlegende Schulbildung, sauberes Wasser, sanitäre Einrichtungen, Gesundheit, Ernährung usw. In Europa werden im Vergleich dazu allein $11 Milliarden für Eiscreme ausgegeben, $50 Milliarden für Zigaretten und $105 Milliarden für Alkohol.[26] Die weltweiten Ausgaben für Narkotika betragen etwa $400 Milliarden und die Militärausgaben $1.531 Billionen.[27]

1970 hatten die ärmsten Länder der Welt (ca. 60 Staaten die von der Welt Bank mit "low-income" klassifiziert werden) $25 Milliarden Schulden, 2002 waren es bereits $523 Milliarden. Die Schulden gegenüber multilateraler Institutionen wie IMF und Welt Bank betrugen 2005 ca. $153 Milliarden. $550 Milliarden wurden samt Zinsen während der letzten drei Dekaden zurückbezahlt, für Schulden, die insgesamt nur $540 Milliarden betragen, und dennoch sind immer noch $523 Milliarden an Schulden offen.[28]

Laut Weltbank hatten die Entwicklungsländer (ohne Ostblock) 1999 $2,060 Milliarden an Schulden - weniger als 6% der gesamten weltweiten Schulden ($37,000 Milliarden). Der damalige Ostblock wurde mit weiteren $465 Milliarden kalkuliert. Die öffentlichen Schulden von Frankreich betragen $750 Milliarden, die von Belgien $250 Milliarden, die nationalen Schulden von Japan betragen $2,000 Milliarden. Der Schuldenstand der USA hat schon lange die Marke von 12.000 Milliarden US-Dollar überschritten.[29] Allein der Verteidigungsetat der USA betrug 2010 $635 Milliarden.[30]
 
Im Kontrast dazu betragen die Gesamtschulden der 41 HIPC (Heavily Indebted Poor Countries) Länder ca. $200 Milliarden (weniger als 1% der weltweiten Schulden).[31] Doch für jeden Dollar den ein Entwicklungsland an Hilfe erhält, zahlt es zwischen $10 und $25 in Form von Schuldenrückzahlung an die Industrienationen zurück.[32]

Weniger als 1% dessen, was die Welt jährlich für Waffen ausgibt, wäre nötig, um innerhalb von wenigen Jahren allen Kindern dieser Welt eine grundlegende schulische Bildung zu ermöglichen.[33] Stattdessen herrscht heute – 2011 – in über 30 Ländern Krieg, Bürgerkrieg oder bürgerkriegsähnliche Zustände – in manchen seit Jahrzehnten, ohne Ende in Sicht.[34]


- Domingo Conte  (Januar 2011)


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Quellen:

[2] Shaohua Chen und Martin Ravallion: "The developing world is poorer than we thought, but no less successful in the fight against poverty", World Bank, August 2008; Für die 95% von $10 pro Tag, siehe: Martin Ravallion, Shaohua Chen und Prem Sangraula: Dollar a day revisited", World Bank, May 2008. Sie bemerken das 95% der Bevölkerung der Entwicklungsländer von weniger als $10 pro Tag leben. Mit den Zahlen von 2005 entspricht dies etwas weniger als 79.7% der Weltbevölkerung, exklusive der Bevölkerung in Industrienationen die von weniger als $10 leben. Diese Angabe basiert auf der Kaufkraftparität (KKP). 2005 erhöhte die Welt Bank die Armutsgrenze von $1 auf $1.25 pro Tag. Würde man nur die Inflation berücksichtigen, so wäre dieser $1 mittlerweile bei $1.45. Auch erscheint es so, als würde fast der gesamte Rückgang der Armut in den letzten Dekaden auf China zurückzuführen sein: China's Armutsrate fiel von 85% auf 15.9% (also über 600 Millionen Menschen), ohne China wäre die Armutsrate nur um ca. 10% gefallen. Der Gebrauch der Armutsgrenze von 1$ pro Tag wurde schon lange als willkürlich kritisiert, doch die $1.25 pro Tag Grenze soll nun eine in den ärmsten Ländern häufig vorgefundene Grenze sein. Auch $2.50 soll die typische Armutsgrenze in vielen weiteren Entwicklungsländer darstellen. Die $10 pro Tag entspricht knapp der Armutsgrenze in den USA.
[3] 2007 Human Development Report (HDR), United Nations Development Program, November 27, 2007, p.25.
[4] "World Development Indicators 2007" (The World Bank, March 2007)
[5] Chronic Poverty Report 2004-5 (The Chronic Poverty Research Centre, 2005)
[6] Ibid.
[9] The Challenge of Hunger 2007 (International Food Policy Research Institute, October 2007) p 4.
[10] siehe: 2007 Human Development Report (HDR), United Nations Development Program, November 27, 2007, p.25
[11] siehe: Today, over 22,000 children died around the world. (Hinweis: die zitierte Statistik verwendet Daten von Kindern im Alter bis zu fünf Jahren.
Wären es etwa Kinder im Alter von 6 oder 7 Jahren, wäre diese Zahl noch höher.)
[12] siehe z.b.: Reality of Aid 2004 (Canada's Coalition to End Poverty - CCIC, 2004) / World Health Organisation 2004 
[13] 2007 Human Development Report (HDR), United Nations Development Program, November 27, 2007, p.25
[15] 2007 Human Development Report (HDR), United Nations Development Program, November 27, 2007, p.25
[17] Millennium Ecosystem Assessment (March, 2005)
[18] International Union for Conservation of Nature (IUCN): What kind of world do we want? (Video, December 2008)
[19] Ibid, p.45
[20] World Development Indicators 2008, World Bank, August 2008
[22] The World Distribution of Household Wealth, World Institute for Development Economics Research of the United Nations University (2007)
[23] siehe: World Bank Key Development Data & Statistics, World Bank; Luisa Kroll und Allison Fass, The World’s Richest People, Forbes, March
3, 2007; World Bank’s list of Heavily Indebted Poor Countries (41 countries), accessed March 3, 2008
[24] siehe: World Bank Key Development Data & Statistics, World Bank, accessed March 3, 2008; Luisa Kroll und Allison Fass, The World’s Richest People, Forbes, March 3, 2007
[25] The World Distribution of Household Wealth, World Institute for Development Economics Research of the United Nations University (2007)
[28] Debt relief hopes bring out the critics, Jorn Madslien, BBC, June 29, 2005; Paying for 100% Multilateral Debt Cancellation; Current proposals
explained, Sony Kapoor, EURODAD, January, 2005, p.5
[31] The Transfer of Wealth; Debt and the making of a Global South, (Focus on the Global South). Chapter 5, p.39
[32] Based on World Bank data (accessed March 3, 2008) as follows: Total debts of the developing world in 2006: $2.7 trillion;Total official development assistance in 2006: $106 billion
[33] State of the World, Issue 287 - Feb. 1997, New Internationalist